Die Rolle von Journalistinnen und Journalisten im Krieg

Damit Europa kein unvollendeter Traum bleibt 2018

04/08/2018
AEUB 2018

Welche Rolle spielen Journalistinnen und Journalisten in einem Land, das sich im Kriegszustand befindet? Weil viele seiner Landsleute denken, Journalistinnen und Journalisten sollten für Informationen kämpfen sollen, ist es für den ukrainischen Journalisten Oleksiy Matsuka jeden Tag aufs Neue eine Herausforderung, eine Antwort auf diese Frage zu finden. „Einige unserer Leserinnen und Leser erwarten, dass wir unser Land verteidigen. Aber wir wollen als Journalistinnen und Journalisten unsere Unabhängigkeit bewahren. Wie können wir aber mitten im Krieg sicherstellen, nicht der Propaganda zum Opfer zu fallen? Wie können wir Informationen unbefangen präsentieren?“

Oleksiy Matsuka war diesen Sommer Teil einer Gruppe von Journalistinnen und Journalisten aus der Ukraine, die während der Konferenz Damit Europa kein unvollendeter Traum bleibt in Caux zusammenkamen, um genau diese Fragen zu erörtern. Matsuka ist Gründer des Donetsk Institute of Information, einer NGO, die durch verschiedene Medienkanäle unabhängige Nachrichten über die Region Donbas verbreitet und andere regionale Nachrichten analysiert. Sie richtet ausserdem das jährliche Donbas-Medien-Forum aus, das hunderte Medienvertreterinnen und -vertreter zusammenbringt, um die Herausforderungen einer Berichterstattung über den anhaltenden Konflikt zu diskutieren. Sowohl das Institut als auch Matsuka arbeiten mittlerweile von Slovyansk aus, einer Stadt in unmittelbarer Nähe zum besetzten Gebiet.

Matsuka kam 2016 zum ersten Mal nach Caux. Dieses Mal war sein dritter Aufenthalt. Er erinnert sich daran, wie Caux ihm bei der Reflexion über seinen Beitrag zum Frieden in seinem Land geholfen hat. „Um ein Problem zu lösen, muss man zunächst bei sich selbst anfangen“, sagt er. Das bedeutete für ihn, das eigene, vom Krieg verursachte Trauma zu akzeptieren, als er von zu Hause fliehen musste und in das kontrollierte Gebiet kam. „Nach meiner anfangs patriotischen Reaktion auf den Krieg habe ich gelernt, dieses Trauma einzugestehen. Allerdings musste ich es von meiner Arbeit als Journalist trennen, um meiner Berufsethik treu zu bleiben.“

Matsuka ist überzeugt, dass professioneller Journalismus einen Beitrag zum Friedensprozess leisten kann. „Wir gehen nicht an die Front, um zu kämpfen, aber wir können neutrale Informationen verbreiten und die Fragen stellen, die gestellt werden müssen.“ Matsuka erklärt, wie er als Journalist seinen Stil dahingehend änderte, indem er weniger auf Zustimmung setzte sondern Fragen aufwarf und damit auf Widerstand stiess. „Die Leute hier erwarten, dass Journalisten Fakten nennen, nicht Fragen stellen. Aber Fragen zu stellen ist besonders wichtig, gerade wenn man in einem Konfliktgebiet tätig ist.“

Mit ihrer Berichterstattung versuchen Matsuka und seine Kollegen, die polarisierende Nachrichtenlandschaft zu verändern. „Unser Handeln sollte zumindest dazu beitragen, die Situation nicht schlimmer zu machen, als sie derzeit ist.“ Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) hat Regeln für Medien in Konfliktgebieten erlassen und die Reporterinnen und Reporter des Donetsk Institute of Information arbeiten unter Berücksichtigung dieser konfliktsensitiven Berichterstattung. Wenn sie zum Beispiel über das unkontrollierte Gebiet schreiben, benutzen sie niemals das Wort Terroristin oder Terrorist. „Terroristin oder Terrorist ist ein toxisches Wort. Es gibt 2 Millionen Menschen, die in diesem Gebiet leben und sie sind keine Terroristinnen oder Terroristen.“ Stattdessen sagen sie „pro-russische Gruppen“, „selbsternannte Republik“ oder „Militär mit Unterstützung aus Russland“.

Diese konfliktsensitive Berichterstattung sei nicht nur wichtig, wenn man direkt über den Krieg schreibt, erklärt Matsuka. „Wir thematisieren nicht nur Krieg und Frieden. Der Krieg beeinflusst alle Bereiche des Lebens. Die Ukraine hat russische Bücher, Filme und Fernsehsender verboten. Wenn ein Sportler oder eine Sportlerin nach einem Spiel Russisch sprach, wurde das als unpatriotisch bewertet, Offizielle behaupteten, Russisch sei die Sprache der Besatzung. Aber Russisch ist für viele Ukrainerinnen und Ukrainer ihre Muttersprache. Wir versuchen, diese Art Propaganda abzubauen, indem wir zeigen, dass dies nur eine politische Sichtweise und unsere Gesellschaft deutlich vielfältiger ist.“ 

Auch Matsuka ist dieser Propaganda zum Opfer gefallen, denn alle Berichte, die die ukrainische Seite kritisieren, gelten als unpatriotisch. Als das Institut der Korruption im ukrainischen Militär nachging, strengte ein hoher Beamter Verfahren an und beschuldigte sie als Spioninnen und Spione. „Aber das ist mein Job als Journalist.“ Noch vor Ausbruch des Krieges wurde die Wohnung von Matsuka in Brand gesetzt, als er die Veruntreuung öffentlicher Gelder recherchierte.  

Die Zahl der Hasskommentare und Bedrohungen im Netz, die er seitdem erhält, ist stetig gestiegen. In einem aktuellen Post auf einem anonymen Blog wird er in seitenlangen Texten als pro-russisch dargestellt. „Wir wissen nicht, woher das kommt, aber es ist durchaus möglich, dass es von russischer Seite stammt“, sagt Matsuka. Auf diese Art könne seine Autorität unter Ukrainerinnen und Ukrainern untergraben werden. Er lächelt traurig. „Es ist kompliziert.“

Seine Arbeit hat grosse Auswirkungen auf sein Privatleben. Er muss sich nicht nur ständig um seine eigene Sicherheit sorgen. Weil er selbst das besetzte Gebiet wegen eines dreijährigen Haftbefehls nicht betreten kann, sorgt er sich stets um die Sicherheit der zivilen Reporterinnen und Reporter, mit denen er zusammenarbeitet. „Ich denke manchmal über meine Zukunft nach und weiss nicht, ob ich so weitermachen kann. Aber ich kann auch nicht aufhören, denn dann hätte ich verloren. Ich habe bereits mein Haus und mein Zuhause verloren. Wenn ich diesen Beruf aufgebe, werde ich auch meinen Traum aufgeben, Journalist zu sein.“

Matsuka und die Journalistengruppe, die sich in Caux getroffen haben, werden auch nach ihrem Aufenthalt in Caux ihre Erfahrungen austauschen, einander unterstützen und sich einem ethischen Journalismus verpflichten, der zur Einheit und zu demokratischen Werten in ihrem Land beiträgt. 

Von Irene de Pous

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