"[Grenzen] sind eigentlich ziemlich zerbrechlich - sie basieren lediglich auf der Vorstellung, dass wir zu uns selbst und anderen keine Nähe aufbauen können."
Von Karina Cheah
27/04/2020
2018 verbrachte Sezan Eyrich ein Semester in Warschau, studierte Politikwissenschaft und suchte nach einem bequemen Weg, politische Fragen zu diskutieren. Als ihr eine Freundin das Young Ambassadors-Programm (YAP) der IofC-Konferenz "Tool for Changemakers" in Caux empfahl, bewarb sie sich in der Hoffnung, einen Weg zu finden, um sensible Themen aus einer persönlichen und globalen Perspektive anzugehen. Feministische Themen lagen ihr zwar sehr am Herzen, aber es fiel ihr besonders schwer, darüber zu sprechen: "Ich fühlte mich als Zielscheibe, und es fiel mir schwer, nicht emotional zu werden."
In Caux beschäftigte sich Sezan mit dem sogenannten Storytelling zum Austausch von Erfahrungen, empathischem Zuhören und Selbstreflexion als Teil des Ansatzes von IofC. Sie schreibt YAP zugute, dass es ihr Mittel an die Hand gab, mit ihren Gefühlen umzugehen, sich mit anderen Frauen auszutauschen, anderen Meinungen gegenüber emphatisch zu bleiben und Möglichkeiten für den Meinungsaustausch zu schaffen. Auch wenn uns oft beigebracht werde, Emotionen beiseite zu schieben, so Sezan, habe ihr die Selbstreflexion geholfen zu verstehen, dass es tatsächlich rational sei, Emotionen und emotionalem Wohlbefinden Vorrang einzuräumen. "Dies prägt unseren Blick nach innen und wir verstehen dadurch wirklich, dass wir Teil des Systems sind", erklärt sie. "Der einzige Weg, wie man beginnen kann, diese Systeme zu verändern, ist zu begreifen, wie wir in sie eingebettet sind, welche Veränderung wir erreichen wollen und welche Werkzeuge wir dafür zur Hand haben."
Als Sezan aus Caux zurückkehrte, baute sie an ihrer Universität in Österreich das Frauenprogramm "Plattvorm V" auf. Sie stellte fest, dass die Gespräche, die dort über den Umgang mit Sexismus im Alltag stattfanden, reich an Potenzial waren. Im Laufe der Zeit entwickelte sich das Programm von einem Raum des respektvollen Zuhörens und dem Austausch von Erfahrungen zu einem Schulungsangebot, um auf sexistische Strukturen reagieren zu können. "Plattform V" betont die Bedeutung von Veränderung durch Vernetzung und Empathie - Werkzeuge, die Sezan von ihrer Zeit bei YAP mitgenommen hatte. "Wir denken vielleicht, dass wir in unserem Schmerz isoliert sind, aber in dem Moment, in dem wir diese Isolation überwinden und anfangen, miteinander zu reden und Wege zueinander zu finden, kann in uns selbst und in der Gesellschaft wirklicher Wandel geschehen", erklärt sie. "Plattform V" ist nach wie vor aktiv, auch wenn Sezan inzwischen ihren Abschluss gemacht hat und sich anderweitig orientiert.
2019 kehrte Sezan als YAP-Facilitatorin zurück und ist jetzt Koordinatorin bei YAP 2020. Durch die COVID-19-Pandemie wird YAP die Form einer Online-Plattform annehmen, auf der ehemalige Teilnehmende verschiedene Themen und Pläne für ein persönliches Wiedersehen im Jahr 2021 diskutieren können. In den letzten sechs Jahren hat sie in fünf Ländern sowie ihrem Heimatland Deutschland gelebt, so zuletzt in Palästina, wo sie IofC als Rahmen nutzte, um den Dialog zwischen Konfliktparteien zu erleichtern. "Es besteht Potenzial für Veränderungen, wenn man beginnt, in sich selbst hineinzuschauen und die Grenzen der Trennung, die uns auferlegt wurden, zu überwinden", sagt sie. "[Grenzen] sind eigentlich ziemlich zerbrechlich - sie basieren lediglich auf der Vorstellung, dass wir zu uns selbst und anderen keine Nähe aufbauen können."