2005: Omar Salad Elmi - Misstrauen beseitigen

09/11/2021
Somalia - First meeting of Benadir and Hawiye – anti-clockwise from right: Sayid Ma’alow, Hassan Mohamud Geeseye, Omar Salad Elmi, Mohamed Abukar Haji Omar, n/a, Khalid Maou Abdulkadir, Dr Ahmed Sharif Abbas

 

Peter Riddell arbeitet für Initiativen der Veränderung in England (IofC-UK) und begleitet seit über 15 Jahren Friedensschaffende der somalischen Diaspora. Er beschreibt eine Schlüsselbegegnung, die im Sommer 2005 in Caux stattfand:

"In der somalischen Delegation gibt es zwei Personen, die Omar heissen", sagte mir der Mann von der Zimmerverteilung im Konferenzzentrum von Initiativen der Veränderung (IofC) in Caux. "Da wir keine weiteren Informationen hatten, haben wir sie im selben Zimmer untergebracht. Ich hoffe, das ist in Ordnung." Obwohl ich einer der Gastgeber der Delegation war, wusste auch ich nicht mehr und so nickte ich.

1	Somali delegation at Caux in August 2005 – back row: Omar Salad Elmi (fifth from left), Mohamed Abukar Haji Omar (eighth from right), Osman Jama Ali (sixth from right); Front row: Dr Ahmed Sharif Abbas (fifth from left)
Die somalische Delegation in Caux im August 2005 – hintere Reihe:: Omar Salad Elmi (5. von links), Mohamed Abukar Haji Omar (8. von rechts), Osman Jama Ali (6. von rechts); vordere Reihe: Dr Ahmed Sharif Abbas (5. von links). Peter Riddell stehend 4. von rechts.

In der Tat hätte die Sache sehr ungut ausgehen können. Es stellte sich nämlich heraus, dass Omar Salad Elmi, ein  ehemaliger Provinzgouverneur und Parlamentsabgeordneter, dem Clan der Hawiye angehörte, während sein Zimmerkollege, der ehemalige Parlamentsabgeordnete Mohamed Abukar Omar, zur Gemeinschaft der Benadir gehörte. Die Hawiye hatten die Benadir zu Beginn des Bürgerkriegs im Jahr 1991 gewaltsam aus der Hauptstadt Mogadischu vertrieben. Doch die Dinge entwickelten sich auf eine unerwartete Weise.

Die Geschichte reicht bis in das Jahr 1994 zurück, als Osman Jama Ali, ein in England lebender ehemaliger Regierungsminister, an einem von IofC organisierten Treffen potenzieller Friedenschaffender in Schweden teilnahm und tief davon beeinflusst wurde.

Im Jahr 2004, kurz nach seinem Rücktritt als stellvertretender Premierminister einer Übergangsregierung, der es nicht gelungen war, ihre Autorität zu etablieren, erklärte er, dass er den Rest seines Lebens dafür einsetzen wolle, sein Volk zu versöhnen. Er lud Dr. Ahmed Sharif Abbas von der Benadir-Gemeinschaft und Abdi Afrah Gure vom Hawiye-Clan ein, mit ihm zusammenzuarbeiten.

 

Somalia Greencoat Place 2005
Der englische Parlamentarier, Sir Jim Lester, heisst somalische Anführer der Clans im IofC-Zentrum in London willkommen, 2005

 

Gemeinsam versammelten sie im März 2005 die Anführenden der wichtigsten somalischen Clans der britischen Diaspora zu einem Workshop im Londoner IofC-Zentrum. In bemerkenswert kurzer Zeit erzielten sie einen Konsens über die Lage in ihrem Land und gründeten die Somali Initiative for Dialogue and Democracy (SIDD). Im August brachten sie 20 hochrangige Somalierinnen und Somalier aus verschiedenen Clans nach Caux: zehn von ihnen waren vom somalischen Premierminister für eine Teilnahme benannt worden.

"Der friedliche und ehrliche Geist, der in Caux herrschte, veranlasste uns, untereinander eine neue Art von offenen und aufrichtigen Gesprächen zu beginnen,"  erinnerte sich Omar Salad später. "Obwohl sich die meisten von uns schon seit Jahrzehnten kannten, hatten wir noch nie solche Gespräche geführt. Wir haben Zweideutigkeit und Misstrauen zwischen uns beseitigt."

« Der friedliche und ehrliche Geist, der in Caux herrschte, veranlasste uns, untereinander eine neue Art von offenen und aufrichtigen Gesprächen zu beginnen»

In einer Plenarsitzung entschuldigte sich Omar Salad bei den anwesenden Benadir für die Handlungen seines Clans - dies war das erste Mal, dass eine solche Entschuldigung ausgesprochen wurde. Die Benadir waren so beeindruckt, dass sie einen angesehenen Ältesten, Sayid Ma'alow, der in der Schweiz lebte, nach Caux einluden, um die Entschuldigung entgegenzunehmen. Sayid Ma'alow hatte geschworen, niemals mit jemandem aus den Clans, die die Gräueltaten begangen hatten, zu sprechen. Doch er willigte schliesslich ein, zu kommen.

Omar Salad schüttelte ihm die Hand und sagte: "Ich bin ein ehemaliges Mitglied der Gemeinschaft, deren Miliz Verbrechen an Ihnen, Ihrer Familie und Ihrer Gemeinschaft begangen hat, und ich möchte mit Ihnen sprechen." Sayid Ma'alow zögerte, stimmte dann aber zu, ihn anzuhören.

 

Omar Salad (left), Sayid Ma’alow (right) - Somalia
Omar Salad (links) and Sayid Ma’alow (rechts)

 

Omar Salad sagte zu ihm: "Obwohl ich persönlich mit den Gräueltaten, welche Ihnen die Miliz meiner ehemaligen Gemeinschaft angetan hat, nicht einverstanden bin, bitte ich Sie mir im Namen dieser Gemeinschaft das Vergehen gegen Sie, Ihre Familie und Ihre Gemeinschaft zu vergeben."

Nach einem Moment der Stille dankte ihm Sayid Ma'alow für seinen Mut und seine Aufrichtigkeit. "Ich kann Ihre Entschuldigung nur auf persönlicher Basis annehmen," fuhr er fort. "Es liegt an den beiden Gemeinschaften,  zusammenzukommen und darüber zu sprechen, wie das Problem gelöst werden kann." Die beiden Männer vereinbarten, sich gemeinsam für Versöhnung, Frieden und Gerechtigkeit in der somalischen Gesellschaft einzusetzen.

Die beiden Männer vereinbarten, sich gemeinsam für Versöhnung, Frieden und Gerechtigkeit in der somalischen Gesellschaft einzusetzen.

Dies war ein wichtiges Ereignis, um ein Netzwerk hochrangiger Somalierinnen und Somalier der britischen Diaspora aufzubauen, die sich für den Wiederaufbau ihres Landes einsetzten. Omar Salad kehrte nach Somalia zurück und wurde ein bekannter Friedensstifter, der sich für die Versöhnung der Clans einsetzte. Mehr als 60 Clanführer nahmen an Kursen zur Förderung des Dialogs teil, um "unseren Leuten zu helfen, wieder miteinander zu reden."

 

Somalia informal talks in Caux 2005
Informelles Treffen in den Gärten von Caux, 2005   

 

Mit Unterstützung von IofC-UK führten die Mitglieder von SIDD zahlreiche Initiativen zur Versöhnung in der Diaspora durch, informierten britische Politikerinnen, Politker sowie Diplomatinnen und Diplomaten und veröffentlichten Berichte und Zeitungsartikel. Als 2012 nach 21 Jahren Bürgerkrieg eine föderale Regierung in Somalia gebildet wurde, kehrten einige Mitglieder des SIDD-Netzwerks unter erheblichem Risiko nach Somalia zurück, um als Minister, Ministerinnen, Beratende sowie im diplomatischen Dienst den nachfolgenden Regierungen zu dienen.

Was die Verwendung des gleichen Namens als ein Kriterium für die Zimmerverteilung in Caux betrifft, empfiehlt es sich, dies nicht als allgemeines Prinzip anzuwenden. Aber in diesem Fall hat es sich als genial erwiesen!

 

Lesen Sie mehr:

 

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Somalia Prime Minister letter 2005
Auszug aus dem Schreiben des somalischen Premierministers, in dem er 10 Mitglieder der Delegation benennt, die 2005 nach Caux reiste

 

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Diese Geschichte ist Teil unserer Serie "75 Jahre der Geschichten" über Einzelpersonen, die durch Caux eine neue Richtung und Inspiration für ihr Leben gefunden haben - eine Geschichte für jedes Jahr von 1946 bis 2021. Wenn Sie mehr über die Anfangsjahre von Initiativen der Veränderung und das Konferenzzentrum in Caux erfahren möchten, klicken Sie bitte hier und besuchen Sie die Plattform For A New World.

 

 

  • Fotos: Initiativen der Veränderung & Peter Riddell
  • Foto oben: Erstes Treffen von Benadir und Hawiye - gegen den Uhrzeigersinn von rechts: Sayid Ma'alow, Hassan Mohamud Geeseye, Omar Salad Elmi, Mohamed Abukar Haji Omar, unbekannt, Khalid Maou Abdulkadir, Dr. Ahmed Sharif Abbas
  • Korrekturlesung: Maya Fiaux

 

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